Internetkunst


Millennium     |     Millennium     |     1998

Die Arbeiten, die in diesem Projekt vorgestellt werden, sind Auszüge alltäglicher Geschehnisse, die in Informationseinheiten zerlegt und losgelöst von ihren realen Ursprüngen weltweit verfügbar sind. Sie werden unterschiedslos, ob es sich um bunte Cyberbilder handelt oder historische Ereignisse, in den Speichern der Informationsmaschinerie mit „Null und Eins“ erfaßt und zirkulieren durch ein weltumspannendes Informationsnetz. Die Informationsmaschinerie kennt dabei keine Moral. Der dadurch entstehende Zustand der umfassenden Simulation (unser Weltbild setzt sich zusammen durch die (Vor-)Selektierung der Produzenten des „Wissens“) wird hier nicht mehr von der Frage "richtig oder falsch" berührt. Der Zweifel an den Segnungen der neuen Errungenschaften unseres Zeitalters kann die Auffächerung der Realität in simulative Räume nicht verhindern; das Tempo ist vorgegeben - höher, schneller, weiter - alles, was sich nicht in das Raster dieser Maschinerie einfügt, bleibt nicht mehr präsent und wahrnehmbar. Hier stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Wahrnehmung, Wirklichkeit und Erkenntnis zu einander stehen. Von dieser Fragestellung ausgehend, versucht die "Ausstellung", einige wenige Informationsauszüge in einen neuen Konsens zu setzen. Die Vorgänge werden als Information durch die Leitungen des internet übertragen, in einem Browser zusammengefügt und so dem Betrachter zur Verfügung gestellt. Das Internet ist hier Mittel des künstlerischen Ausdrucks und gleichzeitiger Ausstellungsort, Kunst im öffentlichen Rahmen, welcher mediumbedingt einen internationalen Charakter hat. Damit halten die neuesten technischen Errungenschaften Einzug in die Kunst. Die Galerie wird nicht mehr als unvermeidliche Präsentationsstätte der Kunst gefeiert, der Betrachter geht nicht zum Werk, sondern durch den direkten Kontakt zwischen dem Körper und der Maschine, d.h. durch die taktile Kommunikation, ruft er das Werk zu sich und betrachtet es auf einem Monitor im eigenen Raum. Es entsteht ein gänzlich neues Verhältnis zwischen dem Betrachter und der Kunst. Der Umgang mit der Kunst wird soziale, liberale Begegnung. Jedes Werk, das weltweit zur Verfügung steht und jederzeit abrufbar ist, enthält denselben Qualitätswert wie die ursprüngliche Datei. Damit ist die Frage nach Echtheit oder Kopie, Original oder Reproduktion nicht mehr relevant.
Shahin Charmi, 1998